Menno ter Braak und der fall aus Deutschland
Konrad Merz
Man hat mich eingeladen, die Geschichte meines Buchs ‘Ein Mensch fällt aus Deutschland’ zu erzählen, ein Titel der über dem ganzen deutschen Exil stehengeblieben ist.
Ich war 1934 aus Deutschland geflüchtet. Warum? Darum!
Ich hatte sie mit eignen Augen gesehn: Hitler, Göbbels, Göring – ich kannte auch ihre ersten Schlachtopfer, z.B. den Schriftsteller Erich Mühsam, dern sie das Hakenkreuz auf den Schädel gebrannt hatten bis dem Menschen das Auge erlosch. Vor der Universität an der ich studierte, hatte ich das Verbrennen der Bücher studiert, die man in den Hitlerschen Rauch warf, wobei jedesmal ein Name gebellt wurde; das fing an mit Heine und hörte nicht auf mit Tucholsky. Der Kerl der dort bellte, hatte den Namen Böse. Der liebe Gott der vielleicht noch nicht entlassen war wegen seiner nicht-arischen Abstammung, erlaubte sich damals noch solche Signale. Keiner verstand die mehr. Heine hatte 100 Jahre vorher bereits in jene Epoche hineingeschrieben; ‘Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen’. Heine war weiter als wir. Kurz: ich hatte die Nase voll – das einzige was ich voll hatte. Eine Nase die noch sehr jung war. Ausserdem hatte ich einen Freund in meinero Zimmer schiafen lassen, die eine Aktion begonnen hatte, um Hitler zu ermorden. Was, ehrlich gesagt, bis heute noch nicht geglückt ist. Nachdem es mir geglückt war, aus Deutschiand rauszukommen, war ich verurteilt, in Holland reinzutreten, als Emigrant. Holland, Juni 1934: die Unschuld einer eventuellen Jungfrau – taube Türen, blinde Fenster; ein Lächeln das so lange dauert wie eine Tasse Tee. Ein Emigrant glaubt nicht an Wunder – aber er wartet darauf. Wenn so einer noch dazu von jener chronischen Krankheit befallen ist, deren Symptome
daraus bestehn dass er sie aufschreiben muss, dann schreibt der auf.
November 1934 erschien im Neuen Tagebuch, Paris, mein ‘Tagebuch eines Berliner Studenten’. Später wurde daraus ein halbes Buch.
Zu jener Zeit meldete sich der holländische Kritiker Menno ter Braak bei den Emigranten im Neuen Tagebuch: es wär ja ganz schön, schrieb er, dass einer von ihnen über den anderen von ihnen immer schrieb, dass der immer so schön schrieb. In Wirklichkeit hätten diese Schreiber nur ihre Schreibmaschine emigrieren lassen, Er, Ter Braak, warte auf ein neues Wort.
Nun ernährte ich selber mich damals leider von diesem Hunger nach dem neuen Wort, meistens sogar ausschliesslich. Eine Freundin riet mir, jenem Ter Braak zu schreiben. Ich kannte damals in Holland gar keine Zusammenhänge, ich kannte nur Vorhänge. So kams dass ein ungeborner Schriftsteller an eihen gebornen Kritiker ein Wort schrieb über ein ungebornes Buch. Ich erwartete keine Antwort.
Sie kam am zweiten Tag. Ter Braak schrieb: ‘Ich möchte selbstverständlich sehr gern Ihre Bekanntschaft machen. Wenn es Ihnen passt mal mittags zwischen 3 und 6 zu mir zu kommen, werde ich Sie fast jeden Tag empfangen können. Schlagen Sie also etwas Konkretes vor, und bringen Sie auf jeden Fall das Ms mit. Ich werde es lesen und Ihnen ehrlich sagen was ich davon halte. hochachtungsvoll’ Ein Hochachtungsvoll in reinstem Deutsch, vom Rest garnicht zu reden – in dieser Sekunde war ich nicht mehr scheintot. Scheinlebendig war ich. Pilgerte nach dem Haag zum Dr. Ter Braak. Straszenbahn konnte ich mir nicht leisten, die Hoffnung dass die Reise 20 Cent wert sein könnte – auch nicht. Krummgelaufen kam ich an hinterm Weltenende der Laan van Meerdervoort. Türen kannte ich vom Zuschlagen. Die von Ter Braak blieb auf, sogar nach dem ersten Grusz. Eine holländische Tasse Tee die Deutsch spricht. Eine Frau die Zucker anbietet. Und dann er. Hohe Gestalt, Kneifer. Blickt durch Glas, als ob der Unsinn ein Sinn sein könnt und der Sinn ein doppelter Unsinn, weiss ich wie der das macht? Und dann: na los – das Manuskript! Ich kramte bekritzelte Papiere aus meiner Tasche, unleserlich wie
Diagnosen. Ich hatte einen Mund, wollte vorlesen. Der Kritiker fühlte sich nicht wohl damit: der eine liest gut, der andre schlecht – ein Ms muss gepflastert sein mit Worten Schwarz. Aus Mangel daran las ich meiven Anfang vor, Ter Braak nickte: wenn das Ganze so ist…! Aber ich batte noch gar kein Ganzes, nichtmal Halbes. In der Tür flüsterte er noch: ‘Naben Sie denn was zum Essen solang?’ Ja, sagte ich.
Im Osten von Amsterdam gabs ein Haus für Nichttrinker, Nichtraucher, Nicht-Fleischfresser. Auf einer geliehenen Schreibmaschine für Nicht-Dichter tippte ich mit einem Finger das dazu geliehenes Brot mit Marmelade für Nicht-Feinschmecker. Sandte mein halbes Baby an Ter Braak. Empfing eine Karte: ‘Ich habe eben Ihr Ms zu Ende gelesen, konnte nicht aufhören. Das Buch ist ausgezeichnet (unterstrichen), es gehört zu den Büchern, die mit minimalen Mitteln Maximales erreichen. Wenn Querido das Buch nicht nimmt, ist er verrückt (unterstrichen) and wir geben es auf eigne Faust heraus. Schreiben Sie hitte die Fortsetzung! Kümmern Sie sich nicht um das Geld!Sie können eventuell einige Wochen bei mir wohnen’.
Ich langweile Sie mit seinen wörtlichen Worten, weil man heute schon nicht mehr weisz, wer Ter Braak war. Einen Kritiker hält man für einen Mann mit Augen aus Essig; und diesen hält man für Ter Braak. Er läuft seit so langera nicht mehr durch unsre Straszen; schon hat man keine Ahnung, wie er ausgesehen hat. Er ist ein langer Mann, läuft nach vorn gebeugt, als ob die Luft ein Buch ist, worin er blättert. Hohe Stirn, Nase mit zwei Flügeln, durch deren Fenster er mehr schen muss als die andern: der letzte Kneifer der Weltgeschichte. Beim zweiten Eindruck hat man den Kneifer längst vergessen: bleibt ein Gesicht, das Spasz hat am Ernst, falls der Spasz macht. Eine merkwürdige Mischung von Provinzler and Europäer, aber noch ganz ohne Risse. Ter Braak ist einer, der immer zu sich selbst passt. Bei ihm sieht die Achterhoek aus nach Europa and Europa nach der Achterhoek. Dieser Sohn einer grossbürgerlichen Tradition, Neffe von Huizinga, Sohn eines Arztes aus Eibergen, Menno ter Braak ist ein Emigrant ebenfalls. Er hat es mir selber in den Don Quichotte geschrieben: ‘veil Don Quichotte auch in der Emigration war und ist. Menno
ter Braak’. Wann wird man entdecken, dass Ter Braak in die Emigration gegangen ist, weil er ein holländischer Don Quichotte war und ist?
Es gab auch in Holland Windmühlen und eine Lanze, die aus einem Federhalter bestand. Der wirkliche Ter Braak war übrigens fähig, jeden Nachmittag nach 5 seine Windmühlen auf dem Klavier zu begleiten, dann tastete er seine Gedanken ab auf Tasten zu Melodien wie: ‘Yes we have no bananas’ oder ‘Wo sind denn deine Haare, August, August!’ Ein calvinistischer Karneval? Ter Braak war der erste, der dieses Paradox auf den Markt gebracht hat, der erste und vielleicht der letzte: ein calvinistischer Karnevalist. Im Karneval stirbt der Tod bis er schwanger wird, im Karnval ist die Sprache jeder Predigt: das Lachen, dem der Ernst nicht ernst genug ist. Aber der Mord ist nicht fähig zum Lachen. Bei Ter Braak gibts noch nicht jenen Abgrund, dem wir heut den Namen Auschwitz geben. Er hat jenes ungelobte Land geahnt. Er hat geweigert, es auch nur in Gedanken zu betreten als ein Lebender.
Zum Etikett: Calvinist. Ich erinnre mich, wie ich mal mit ihm durch die Hinterbühne der Princesse-Schouwburg schlenderte auf dem Wege zum Komiker Fritz Hirsch (später liquidiert in Mauthausen). T.B. hatte eine starke Schwäche für waschechte Humoristen. Wir schritten durch die Reihen waschechter Choristen, die in der Pause an ihren Zigaretten hingen. Koude rillingen liefen buchstäblich über seinen Rücken als er das sah: kleine Gesichter hinter riesigen Schminkbergen. Ter Braak hasste den Typus Schauspieler wie ihn der spätere Nietzsche in Wagner hasste. Ter Braak ist ein Schüler von Nietzsche, er kennt Deutsch wie heute kaum ein Holländer noch, er kennt die Deutschen, er hat den ‘Willen zur Macht’ studiert, z.B. als er mit einer Deutschen verlobt war und mehr noch als ers nicht mehr war. Ter Braak kennt jene Karakterkrankheit deren Bazyllus: Ranküne heisst. Er schreibt: ‘Het Nat. socialisme als Rankuneleer’. Er schreibt gegen Hitler wie einer, der seinen Atem verteidigt, er schreibt bis zu seinem letzten Atem.
Wer heute fragt, warum Ter Braak aus dem Leben emigrierte als die Hitlers Holland besetzten, den frage ich: welches Recht hast du zu dieser Frage!
Einen Tag, nachdem Ter Braak Gift genommen hatte, sah ich Hitlers Kanonen in Amsterdam einziehen via de Berlagebrug; ich sah dort einen Orang Utan Wache stehn zwei Meter hoch, zwei Meter Breit, behangen mit dem Messingschild der Macht, ein Stahlhelm der Schatten warf – und die Amstel lag unten wie ein Trauerrand. Ich musste an Menno denken. Er ist nicht älter geworden als 38; er hat ein Oeuvre hinterlassen von 7 Bänden, geschrieben in manches Heute.
Ich glaube, Ter Braak wird länger leben als wir.
Und nun zurück zu meinem Buch. Es sollte eine Zangen-geburt werden. Ter Braak sandte das Ms an Querido, der sandte es zuriück.
T.B. schrieb in Het Vaderland: ‘Er is nog steeds te hopen op verrassingen op onbekende namen, op de werkelijke emigratie, die er toch ook moet zijn, ergens, in Amsterdam, misschien in Parijs of Praag: maar als er schrijvers zijn, die iets te zeggen hebben dat buiten het kader van de normale historische aandoeningen valt, dan is het nog zeer te betwijfelen of zij een uitgever vinden. Het feit is dat de uitgevers angstvallig de platgetreden paden bewandelen en dit stemt tot groot pessimisme ten opzichte van de komst dezer emigratie’.
Am Montag war der Dichter Marsman bei Querido, zufällig zu dieser Stunde. Der kleine Querido kam mit seinem Kopf wie mit einer Bombe über den Schreibtisch: ‘Heb je gelezen, wat Ter Braak over ons durft te schrijven?’ Marsman, Poète pur, mit blonden Sturmlocken und Lippen die ein Unwetter in Versen ausbrechen lassen konnten; dieser Dichter der den Federhalter in der Faust hielt, knallte eine Faust ohne Federhalter auf die Tischplatte: ‘Ter Braak heeft gelijk, godverdomme!’ Als er die Tür zugeschlagen hatte von draussen, rief Querido drinnen: ‘Laat het ms van Merz terugkomen’. Es zeigte sich, dass es von niemand gelesen war.
Am Sonntag, 22 März 1936 (damals erschienen noch Zeitungen am Sonntag) stand in Het Vaderland eine Chronik von Ter Braak, Titel: ‘De emigratie aanvaard. Een roman op de grens van twee landen. Wanneer ik dit artikel begin met de mededeling dat onlangs bij den uitgever Querido het eerste emigrantenboek is
verschenen, dan zal menigeen ongelovig opkijken. Men verstaat onder emigrantenboeken immers meestal boeken van schrijvers, die uit Duitsland zijn uitgeweken; en inderdaad, daarvan heeft Querido al een lange lijst van werken het licht doen zien. Ik heb er al meermalen op gewezen, dat het voor een schrijver op zichzelf nog geen verdienste is, dat hij buiten zijn land woont… Met een beroep op deze passage meen ik de uitdrukking ‘het eerste emigrantenboek als qualifikatie van den roman van Konrad Merz wel te kunnen rechtvaardigen. Want dit boek is de verrassing en zijn auteur is de onbekende naam waarover ik toen enigszins mistroostig schreef en dat Ein Mensch fällt aus Deutschland in druk is verschenen, alle verering van gevestigde reputaties ten spijt, beschouw ik als een van de gelukkigste momenten in het literaire bestaan van de geheele Duitsche emigratie.’